Frühling

 Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden:
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.

 

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet Groß und Klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein!
Johann Wolfgang von Goethe, Faust I

 

Leise zieht durch mein Gemüt

 

Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute,
Klinge kleines Frühlingslied,
Kling hinaus ins Weite!
Kling hinaus bis an das Haus,
Wo die Veilchen sprießen:
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich lass sie grüßen.

Heinrich Heine

 
Komm lieber Mai und mache
Komm, lieber Mai, und mache

Die Bäume wieder grün
Und lass mir an dem Bache
Die kleinen Veilchen blühn!
Wie möcht ich doch so gerne
Ein Veilchen wieder sehn,
Ach, lieber Mai, wie gerne
Einmal spazieren gehn!


Zwar Wintertage haben

Wohl auch der Freuden viel:
Man kann im Schnee eins traben
Und treibt manch Abendspiel,
Baut Häuserchen von Karten,
Spielt Blindekuh und Pfand,
Auch gibt’s wohl Schlittenfahrten
Aufs liebe freie Land.


Doch wenn die Vögel singen
Und wir dann froh und flink
Auf grünem Rasen springen,
Das ist ein ander Ding!

Jetzt muss mein Steckenpferdchen
Dort in dem Winkel stehen,
Denn draußen in dem Gärtchen
Kann man vor Schmutz nicht gehn.


Am meisten aber dauert
Mich Lottchens Herzeleid,
Das arme Mädchen lauert
Recht auf die Blumenzeit.

Umsonst hol ich ihr Spielchen
Zum Zeitvertreib herbei,
Sie sitzt in ihrem Stühlchen
Wie’s Hühnchen aus dem Ei.


Ach, wenn’s doch erst gelinder
Und grüner draußen wär!
Komm, lieber Mai, wir Kinder,
Wir bitten gar zu sehr!

O komm und bring vor allem
Uns viele Veilchen mit,

Bring auch viele Nachtigallen
Und schöne Kuckucks mit.

Text: Christian Adolf Overbeck 1775 , „Fritzchen an den Mai“
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart, 1791

 

Die ersten Veilchen


Ei, was blüht so heimlich am Sonnenstrahl?
Das sind die lieben Veilchen, die blüh’n im stillen Tal.
Blühen so heimlich im Moose versteckt,
Drum haben auch wir Kinder kein Veilchen entdeckt.
Und was steckt sein Köpfelein still empor?
Was lispelt aus dem Moose so leise, leis’ hervor?
„Suchet, so findet ihr! Suchet mich doch!“
Ei, warte Veilchen, warte! Wir finden dich noch.

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben

 

 
An den Mai

Es ist doch im April fürwahr
Der Frühling weder halb noch gar.
Komm, Rosenbringer, süßer Mai,
Komm du herbei!
So weiß ich, was der Frühling sei.
Wie aber, soll die erste Gartenpracht,
Narzissen, Primeln, Hyazinthen,
Die kaum die hellen Äuglein aufgemacht
Schon welken und verschwinden?
Und mit euch besonders, holde Veilchen,
Wär’s dann fürs ganze Jahr vorbei?
Lieber, lieber Mai,
Ach, so warte noch ein Weilchen!

Eduard Mörike